Expo-Event

Wer entscheidet, wann der Security wieder lieb und auf unserer Seite ist?

4. März 2021
Aufgrund der unsicheren epidemiologischen Lage wurden die grössten Messeveranstalter der Schweiz frühzeitig gezwungen ihre Messen aus dem Programm 2021 zu nehmen. Gemäss einer Erhebung im Februar mussten die Messeveranstalter bereits 35 Messeprojekte für das Jahr 2021 absagen. Daraus resultiert ein Umsatzverlust von über 220 Mio. Franken. Was in etwa einem Drittel des gesamten Jahresumsatzes entspricht.


Oliver Vrieze, der Verband EXPO EVENT erhebt zurzeit die Kennzahlen des Messeplatzes Schweiz mit seiner Messestatistik. Wer sind die Zielgruppen/die Empfänger für dieses Unterfangen? Wurden die Zielgruppen (Politik!) durch Corona erweitert?

Wir erheben die Statistik nicht neu erst jetzt. Die Statistik dient den Mitgliedern und dem Verband EXPO EVENT Swiss LiveCom Association für ein jährliches Assessment, wie sich der Messeplatz Schweiz entwickelt. Durchgeführt wird die Erhebung mit nahezu allen aktiven Mitgliedern der Gruppe „Messeveranstalter“ (16). Neu ist jedoch, dass wir auch ausserhalb unseres eigenen Wirkungsbereiches darauf aufmerksam machen wollen, dass die Messebranche kein kleines „Side Business“ darstellt. Im Gegenteil: Unsere Branche umfasst zahlreiche Arbeitsplätze und generiert eine nicht zu unterschätzende Wertschöpfung. Entsprechend gross ist das Ausmass des Schadens, welchen die Corona-Pandemie bei uns anrichtet. Aus diesem Grund wollen wir die Aufmerksamkeit der Politik und der Gesellschaft auf uns richten. Auch wenn wir nicht gerne brüllen und dies selbst ein Jahr nach Ausbruch der Krise noch immer nicht laut tun, aber zunehmend an unsere finanziellen Grenzen geraten.
 

Die Kennzahlen der Messestatistik Schweiz basieren auf den Umsätzen der schweizerischen Messeplätze. Der Gesamtumsatz multipliziert sich aber um ein Vielfaches, da weitere Nutzniesser dazu kommen wie Messebaufirmen, Architekten, die Hotellerie, die Gastronomie, je nach Messegrösse von regional bis national, weitere Gewerbebetriebe. Wer sind die wichtisten Nutzniesser (Nutzniesser der sogenannten «indirekten wirtschaftlichen Effekte»?)

Sie haben die Antwort schon selbst geliefert – im Kern sind dies die „Gewinner Nr. 1“ aus der Umwegrentabilität. Aber vergessen wir nicht, dass Verkehrsbetriebe, Transportunternehmen, touristische Einrichtungen und Ausflugsziele sowie auch der Detailhandel und viele weitere Dienstleister ebenfalls einen guten Batzen verdienen, wenn wir für mehrere Tage nicht nur regionale Gäste, sondern auch Auswärtige begrüssen. Dabei geht es ja nicht nur um die drei bis zehn EventTage; bei einer Grossveranstaltung wird bis zu vier Wochen vor dem eigentlichen Anlass aufgebaut und während rund zwei Wochen wieder abgebaut.
 

Welche Grundlagen führen zur Definition des Multiplikatorfaktors von zwischen 5 – 10 für die indirekten wirtschaftlichen Effekte (Umwegrentabilität) in der Messestatistik?

Wir basieren diese Effekte nicht nur auf eigenen Annahmen. Welche wirtschaftliche Bedeutung den Messeplätzen in der Schweiz in dieser Hinsicht zuzusprechen ist, wird unterschiedlich erhoben. Die BERNEXPO GROUPE zum Beispiel beschäftigte Rütter Soceco und das ITW der Hochschule Luzern, um solche Angaben zu plausibilisieren. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anlässe mit grosser Ausstrahlung, die einen beachtlichen volkswirtschaftlichen Nutzen nach sich ziehen, basieren also mehrheitlich auf externen Analysen von Experten. Dies beispielsweise auch bei der MCH Group, welche sich über das BAK Basel auf Effekte von knapp CHF 2 Milliarden berufen kann.

Können wir das am Beispiel der BERNEXPO GROUPE erklären: Gemäss Pressemeldungen bewirkt die BERNEXPO GROUPE insgesamt 260 Millionen Franken. Davon entfallen auf direkte Umsätze zwischen 50 bis 62 Millionen Franken, je nach Messejahr und indirekten Umsätze.

Korrekt. Dies ist jedoch nur die Bruttowertschöpfung. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Messe- und Veranstaltungsstandorts Bern zeigt, dass die BERNEXPO GROUPE und alle weiteren in der Studie untersuchten Akteure wie Besuchende, Ausstellende etc. jährlich direkte und indirekte Umsätze von knapp CHF 440 Millionen auslösen.


Gibt es neue Inhalte, die in die Umfrage 2021 einfliessen?

Wir erheben Fragen zu Infrastruktur, Veranstaltungen (Art), Besuchenden sowie Umsatz- und Kostenentwicklung – und zwar seit 2014 immer gleich. Dies ermöglicht einen sauberen Vergleich und zeigt die Entwicklungen/Tendenzen gut auf. Ausserhalb der regulären Umfrage gibt es immer wieder gesonderte Abfragen zu den Themen Corona, Innovationen und spezifischen Branchenanliegen, welche jedoch nicht in der Statistik geführt werden.


Was ist der bisherige Tenor der Messestatistik-Umfrage der Mitglieder in Bezug auf Umsatzverluste im Jahr 2020 und die Wiederbelebung des Messegeschäfts und die Transformation des Messegeschäfts?

Ich kann nicht für alle sprechen, aber die Umsatzverluste, welche mich aus der Branche und von Kollegen erreichen, sind niederschmetternd. Wir haben Geschäfte, die einen Einbruch von bis zu 80% verzeichnen. Dies ist aber nicht das einzige Problem. Zwar haben viele Standorte in der Vergangenheit ausgezeichnet gearbeitet – auch unsere Vorgänger hier in Bern waren grossartige Unternehmer und haben uns geholfen, ein Polster zu schaffen. Uns wurde aber – und das ist die zweite grosse Herausforderung – jegliche Planungsgrundlage für die Zukunft genommen. Jene, die Mut, Zeit und Geld investiert haben in Schutzkonzepte und Corona-konforme Lösungen, wurden mit Verordnungen bis hin zum Veranstaltungsabbruch gestraft. Jeder Wiederbelebungsversuch endete somit in weiteren Aufwänden, die ins Leere liefen. Zwar hat sich damit die Entwicklung der digitalen Alternativen massgeblich beschleunigt und es wurden auch ein paar sehr nennenswerte Innovationen auf schnellstem Weg lanciert, aber das Kerngeschäft – das Live-Business – bleibt weiterhin verschlossen. Und das wäre es, womit wir unser Geld verdienen, in der Peripherie tausende von Menschen beschäftigen und Wertschöpfung generieren.


Namentlich die Messedienstleister warten gespannt auf die Wiederaufnahme von Messen und Events. Welchen Zeithorizont sieht der EXPO-EVENT-Verband?

Schauen Sie, es ist so: Das Store-Konzept steht, die Werbebotschaften sind entwickelt, die Mitarbeitenden sowie die Lieferanten geschult und die Konsumenten warten auf die Inhalte und den Startschuss. Aber die Ware vergammelt im Lager, weil der Security vor dem Laden eben kein Security ist, sondern ein tödliches Virus für unsere Mitmenschen. Wer entscheidet, wann der Security wieder lieb und auf unserer Seite ist?

 

 

Interview von smartville.digital - Urs Seiler